Die Gastprofessur von Max Linz wird sich über einen Zeitraum von drei Jahren bzw. sechs Semestern in enger Zusammenarbeit mit der Klasse Audick und in Kooperation mit benachbarten Disziplinen und Institutionen mit folgenden thematischen Schwerpunkten beschäftigen: Vom Anti-Theater zum Ausstattungsfilm: Bühnenräume zwischen Off-Theater und unabhängigem Kino Expanded-Cinema / Film-Installation im White-Cube: nomadische Filme, Film-Installationen Das Theater als das neue Kino: Live-Film und/als Bühnenbild
1. Vom Antitheater zum Ausstattungsfilm: Bühnenräume zwischen Off-Theater und unabhängigem Kino In der Auseinandersetzung um den Realismusbegriff in der Geschichte des modernen künstlerischen Films seit 1945 spielt die Bezugnahme auf theatrale Ästhetik eine entscheidende Rolle. Während die Loslösung des Kinos vom Studiosystem (vorrangig Hollywoods, aber z.B. auch Cinécitta in Italien) zunächst eine Präferenz für naturalistische Sets und „authentische“ Drehorte bedeutet, bildet sich um 1968 hierzu eine Gegenbewegung, die für ihre Filmästhetik verstärkt auf theatrale Dekors zurückgreift und die permanente Schaffung von Bühnensituationen für die filmische Darstellung avisiert. Paradigmatisch sind hierfür Filme aus der Zeit des Neuen Deutschen Films (z.B. von Jean-Marie Straub/Danièle Huillet oder Hans-Jürgen Syberberg) und insbesondere der Gruppe um Rainer Werner Fassbinder zu nennen. Diese entstehen aus dem Theater-Kollektiv „Anti-Theater“ heraus und entwickeln eine radikal artifizielle Filmsprache, die sich um die Theatralität sozialen Handelns und gesellschaftlicher Räume konstituiert. Zunächst orientiert am Kino der Nouvelle Vague und dem New Yorker Film-Underground (insbesondere der Factory um Andy Warhol und Paul Morrissey) entsteht aus dieser Verschränkung von Film und Theater im Laufe der siebziger Jahre ein neuer Typus Ausstattungs-Kino, der in großen Filmstudios realisiert wird und auf seinem Höhepunkt avantgardistische Bühnenpraxis in den europäischen Kino-Mainstream überführt. Gut 30 Jahre nach dem Versanden dieser ästhetischen Strömungen in der veränderten europäischen Medienrealität der 80er Jahre, steht die Frage nach der Konstruktionsweise pro-filmischer Räume im Zusammenspiel von Schauspiel, Ausstattung und Kameraarbeit auch heute noch im Zentrum filmästhetischer und -politischer Auseinandersetzungen. Studierende sollen für den Einsatz ihrer am Theater ausgerichteten und erlernten Fähigkeiten bei Filmproduktionen qualifiziert werden und für den Möglichkeitsreichtum, den die Filmgeschichte bereithält, sensibilisiert werden. Grundkenntnisse der Kameraoptik und der Setorganisation, sowie der filmsprachlichen Einstellungsgrammatiken („Auflösung“/ „Blocking“) werden vermittelt. Exkursionen ins Studio Babelsberg, zu Fernseh-Studioproduktionen sowie zu On-Location- Filmdrehs sollen praktischen Einblick in die Arbeit von Set-Designern und Filmausstattern gewähren. Eine Kooperation mit den Studierenden der Deutschen Film und Fernsehakademie Berlin (DFFB) sowie der Filmklasse der UdK Berlin von Prof. Thomas Arslan zur Umsetzung von Filmprojekten wird angestrebt.
2. Expanded-Cinema / Film-Installation im White-Cube: nomadische Filme und Film-Installationen Mit der Dynamisierung des Filmbildes und seiner Migration aus den vergleichsweise festeren Dispositiven des Kinos und des Fernsehens ergibt sich eine neue Herausforderung für die Lokalisierung sowohl des Filmbilds als auch des Publikums, die elementar eine Frage des Raumes ist: in welchen Räumen werden Filme gesehen bzw. wie werden Filme verräumlicht bzw. im Raum installiert, wenn die fixe Anordnung Projektor/Leinwand/Saal bzw. Fernseher/Sofa sich aufgelöst hat, Film überall und nirgends ist? Zunächst etwa ab den Sechziger Jahren als „Expanded Cinema“ erprobt (so z.B. bei Staan Van Der Beekes „Cinedome“) wandert das filmische Bild in den White-Cube der Ausstellungshäuser und den öffentlichen Raum aus, als Filminstallation, vorrangig mit portablen 16mm-Projektoren, bevor durch die Proliferation von Videotechnologien ein völlig neuer Gebrauch von Bewegtbild im Ausstellungskontext entsteht, der sich in Bezugnahme auf und Abgrenzung von Kino und TV ausdifferenziert. Von dem übergeordneten Begriff des Ausstellungs-Designs nur unzureichend beschrieben, kommt es durch die veränderten Abspiel- bzw. Aufführungssituationen nun auf Strategien der Verräumlichung zeitbasierter Medien an, die neben dem audiovisuellen Material insbesondere auch Lichtverhältnisse, Akustik und die Positionierung des Publikums betreffen. Durch die Variabilität der Ausstellungskontexte entsteht eine Situation in der das quasi-filmische Bild je spezifisch aufs neue inszeniert werden muss. Studierende sollen selbstständig eine Filminstallation konzeptualisieren, die der spezifischen raum-zeitlichen Bedingtheit im Ausstellungskontext Rechnung trägt. Grundlagen des Video-Bilds und des Schnitts werden vermittelt. In Ausstellungsbesuchen werden aktuelle Beispiele analysiert. Künstlerische Positionen von Nalini Malani, Hito Steyerl, Christoph Schlingensief, Romuald Karmakar, Armar Kanwar, Andy Warhol, Stan Van Der Beeke u.a.
3. Das Theater ist das neue Kino: Live-Film und/als Bühnenbild 1997 produziert die „Neue Volksfilm“ den „letzten Neuen Deutschen Film“. „Die 120 Tage von Bottrop“ von Christoph Schlingensief bildet den Auftakt zu einer Reihe von Filmen, die unmittelbar aus dem Bühnenbetrieb der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz heraus entstehen und auf das Ende der künstlerischen Filmförderung in Deutschland reagieren. Noch wichtiger ist allerdings der Umstand, dass das Bühnengeschehen an der Volksbühne selbst längst eine eigene quasi- filmische Komponente entwickelt hat. Es werden Räume entworfen, in denen das Geschehen dem Zuschauerblick zunächst entzogen nur durch die Kamera sichtbar gemacht wird. Hier entfaltet sich das Spiel durch Kinomittel wie rasanter Schnittkaskanden, hektischer Schuss-Gegenschuss- Verfahren und immer wieder in extremen Großaufnahmen. Die Möglichkeit, das Spiel auf der Hinterbühne fortzusetzen führt insbesodere in den Produktionen von René Pollesch zu beständiger Verwandlung, die Durchlässigkeit des Bühnenbilds für seine reflexive Betrachtung auf der Rückseite wird zur Allegorie für eine Bühnen-Subjektivität, die sich nicht in eine Starre Zweiteilung aus DarstellerIn und Dargestelltem bzw. einer Rolle übersetzen lässt, sondern diese Grenze fortwährend verschiebt, um auf der Bühne zuvor unsichtbare bzw. verdeckt operierende Machtmechanismen in den Blick zu bekommen. Video kommt in der Folge so zugleich die Funktion überhöhender Stilisierung und Vergrößerung wie der Subversion von Bühnenkonventionen. DIe Studierenden entwickeln ein eigenständiges Video-Konzept für einen Bühnenraum, der die Video-Situation von Anfang an integriert. Probenbesuche bei Berliner Bühnenproduktionen, in denen Video tragend zum Einsatz kommt sollen helfen, die hiermit einhergehende Komplexitätssteigerung im Vorfeld zu veranschaulichen.